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Grundsatz 5
Leistung und Beurteilung 
mehrperspektivisch betrachten

Die Bedeutung schulischer Leistungen in einer Gesellschaft variiert je nach gesellschaftlichem System. Welche Fähigkeiten oder Wissensbereiche als «schulische Leistung» gültig sind, hängt von den Bildungszielen ab, die wiederum vom Gesellschaftssystem beeinflusst werden (Klafki, 2007, S. 209ff.). In inklusiven Lerngruppen demokratischer Gesellschaften sollte die Definition von «Leistung» auch den Werten von Inklusion und Demokratie entsprechen, indem sie sowohl Vielfalt in der Leistungserbringung und Partizipation ermöglicht als auch auf die für gesellschaftliche Teilhabe erforderlichen Kompetenzen und Fähigkeiten eingeht. 

Individualisierte Leistungserhebung

  • Beobachtungsbögen

Für die systematische Beobachtung können selbst entworfene oder standardisierte Beobachtungsbögen mit vorgegebenen Kategorien angewendet werden, die der Einschätzung des Verhaltens von Schüler*innen dienen (Ingenkamp & Lissmann, 2008). Bei mehrmaligem Einsatz dieser Bögen wird eine differenzierte Einschätzung des Lernstandes und Lernfortschrittes der Schüler*innen erfassbar. 

  • Prozess – Produkt – Präsentationen

In offenen Unterrichtsformen, in denen Produkte entstehen, können individuelle Leistungen auch in Form der Präsentationen von Arbeitsergebnissen beurteilt werden. Dabei ist es der Transparenz wegen wichtig, dass die Bewertungskriterien im Vorfeld möglichst gemeinsam mit den Schüler*innen festgelegt werden (Textor, 2018).

  • Portfolios

In Portfolios werden schriftliche und künstlerische Arbeitsergebnisse der Schüler*innen gesammelt. Neben Leistungsprodukten wie Tests können auch Lerntagebücher und Hausaufgaben gesammelt. In einem Best-Work-Portfolio erfolgt die Auswahl der Leistungsergebnisse durch die Schüler*innen selbst während in einem Growth- and Learning-Progress-Portfolio Ergebnisse gesammelt werden, die die Leistungsentwicklung der Schüler*innen dokumentiert. Das Portfolio hat zum Ziel, dass «diese Sammlungen insbesondere auch zur Reflexion der Schüler über ihre Leistungsentwicklung und zur Kommunikation mit den Eltern nutzen. Insofern stellen Portfolios ein sehr geeignetes Mittel dar, die Selbstbeurteilungsfähigkeit der Schüler zu fördern, und sie liefern zugleich eine anschauliche Dokumentationsgrundlage für Textzeugnisse (Ingenkamp & Lissmann, 2008).

Individualisierte Leistungsbeurteilung

Tab. Übersicht Bezugsnormen Beurteilung von Vögeli-Mantovani (1999)

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Individualisierte Leistungsdokumentation

  • Summative Beurteilung

Der summativen Beurteilung, auch Noten- oder Ziffernzeugnis genannt, liegt die soziale oder die kriterienorientierte Bezugsnorm zugrunde. «Ziffernzeugnisse sind für Kinder mit Förderbedarf besonders ungeeignet, denn ein Zensurensystem rechtfertig sich über die Fiktion des Normalschülers und erzeugt systematisch Schulversager jenseits dieser Norm. Dieses Paradoxon ist lediglich über die Abschaffung der vergleichenden Beurteilung zugunsten des Lernentwicklungsberichtes zu lösen" (Sörensen, 1997, S. 86). Demzufolge sind Notenzeugnisse ungeeignet, um Aussagen über die individuellen Lernergebnisse und -prozesse der Schüler*innen zu beurteilen. 

 

  • Formative Beurteilung

Formative Beurteilung, auch Lernberichte bzw. Lernentwicklungsberichte genannt, dokumentieren die Lernentwicklung des zurückliegenden Schulhalbjahres und welche Ziele mit Bezug auf die individuelle und die kriterienorientierte Bezugsnorm erreicht wurden. Die Noten im inklusiven Unterricht müssten laut Textor (2018, S. 201) durch formative Beurteilungen, Portfolios oder Kompetenzbögen ersetzt oder erweitert werden. Durch Kompetenzbögen wird der Lernstand der Schüler*innen beispielsweise differenzierter dokumentiert. Bei verbalen schriftlichen Bewertungen wird der Lernstand und der -prozess in Worten beschrieben. Damit diese von Schüler*innen und deren Eltern gut verstanden werden,  müssen Kriterien formuliert werden, die man bei formativen Beurteilungen berücksichtigen sollte (Jürgens, 1999):


1. Konkretheit der Aussagen

2. Anforderungsbezug

3. Benennen von Stärken und Schwächen

4. Entwicklungen beschreiben und bewerten

5. Aufzeigen von Entwicklungslinien

6. Zusammenhang mit vorherigen Aussagen

7. Aufnahme ausserschuilsche erworbener Fähigkeiten

8. Reflexion des eigenen Unterrichts

9. Aufzeigen von Fördermöglichkeiten

10. Vollständigkeit der Aussagen

11. Aussagen zum Arbeits- und Sozialverhalten

12. Lernen in der Gruppe

13. Adressaten und Diktion

 

Durch den Lernentwicklungsbericht wird der Fokus auf die individuellen Ziele in Zusammenhang mit der kriterienorientierten Bezugsnorm gerichtet. Die Lernfortschritte werden so sichtbar gemacht und zeigen auf, welche Ziele bereits erreicht wurden und welche noch erreicht werden müssen (Textor, 2018, S. 204).

 

Beispiel Kontinuum "sprachformale Beurteilung eines Textes" aus der PG QUIMS des Schulhaus Lättenwiesens (2023)

Das Schulhaus Lättenwiesen in Opfikon-Glattbrugg hat als Team entschieden die Texte der Schüler*innen nicht mehr summativ zu beurteilen. Aus diesem Kontext heraus hat die PG QUIMS ein Kontinuum erarbeitet, erprobt und evaluiert. Das Kontinuum wird nun vielseitig eingesetzt, beispielsweise als Grundlage für Coachinggespräche sowie Elterngespräche.

Literatur

Ingenkamp, K. & Lissmann,, U. (2008). Lehrbuch der Pädagogischen Diagnostik. Weinheim und Basel: Beltz.

Jürgens, E. (1999). Zeugnisse ohne Noten - Ein Weg zur differenzierten Leistungserziehung. Braunschweig: Westermann Verlag.

 

Klafki, W. (2007). Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemässe Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik (6. Aufl.). Weinheim und Basel: Beltz.

PG QUIMS (2023). Kontinuum sprachformale Beurteilung eines Textes. Unveröffentlichtes Dokument. Schulhaus Lättenwiesen.

Sörensen, B. (1997). Integration von Kindern mit Behinderungen erfordert eine Öffnung des Unterrichts und der Schule. In M. Göhlich (Hrsg.), Offener Unterricht - Community Education - Alternativschulpädagogik - Reggiopädagogik. Die neuen Reformpädagogiken - Geschichte, Konzeption, Praxis (S. 78-89). Weinheim und Basel: Beltz.

Textor, A. (2018). Einführung in die Inklusionspädagogik. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.

Vögeli-Mantovani, U. (1999). Mehr fördern, weniger auslesen: Zur Entwicklung der schulischen Beurteilung in der Schweiz. Aarau: Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung.


 

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